Interview mit Volkert Volkmann – Usinger Neue Presse / Taunus Zeitung
April 2016
Die Hexen sind unter uns
von Andreas Burger
Gegen 8 Uhr steigt er auf seinen Besen, spricht noch schnell drei Flüche, huscht in sein Büro, um den Raben zu füttern und presst aus Kröten mal eben ein Gift. So ähnlich sieht heute noch der Ruf der Hexer aus. Machen wir doch mal Schluss mit dem unglaublichen Unsinn und beleuchten die neue Hexenbewegung – passend zur heutigen Walpurgisnacht.
Taunus. Das Häuschen ist noch nicht fertig saniert, der kleine Garten präsentiert sich gepflegt-verwildert, zahlreiche Kräuter lugen schon mal vorsichtig ob des Wetters aus dem Boden. Volkert Volkmann, der eigentlich auf den Auflauf im Ofen achten soll („Könnt’ ihr Männer nicht mal fünf Minuten aufpassen!“ – O-Ton der Frau) empfängt die TZ ganz privat in der heimeligen Küche.Volkmann hat die Gnade der späten Geburt. Denn erst 1954 fiel in Deutschland das Hexengesetz. Denn Volkmann ist ein „Wicca“.
Der Begriff stammt aus dem Angelsächsischen und bedeutet „Hexer, Zauberer“, die weibliche Form dieses Wortes ist wicce, das heutige englische Wort witch geht sprachgeschichtlich auf wicce zurück. Der moderne Begriff erscheint zunächst in der Form Wica in Gardners Witchcraft Today (1954) als Bezeichnung für die Vertreter der von ihm beschriebenen „Alten Religion“. Volkmann widerlegt so ziemlich jedes Vorurteil gegenüber Hexer. Zwar streicht die Hauskatze ständig um die Füße und will Aufmerksamkeit, aber weder finden sich Zauberutensilien noch magische Getränke auf dem Tisch (wenngleich die Verwandlung eines Gemüseauflaufs in kohleartige Substanz als Zauberei angesehen werden kann). Denn er ist der Wicca der Gegenwart, der Heilkundige, der Natur-Religiöse. Und er lehrt eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen in seiner Anschauung, die auf dem Naturglauben beruht – Jahrtausende alt. Und außerdem betreibt er – ganz weltlich – eine Naturheilpraxis.
12 000 Jahre zurück
Um zu verstehen, was die neue Bewegung beinhaltet, fängt Volkmanns Erläuterung mit dem Leben vor 12 000 Jahren an. Als die Menschen sesshaft wurden, Ackerbau betrieben und sich plötzlich noch mehr als im Leben der Umherziehenden sich die Eigenarten des Jahreslaufs zu eigen machen mussten. Der Winter mit der Ruhezeit, der Frühling mit dem Neubeginn der Natur, der Sommer als arbeitsreiche Zeit und der Herbst als Erntezeit und Vorbereitung auf den Winter.
So ergaben sich Rituale, die noch heute Bestand haben – Jäger erweisen immer noch mittels eines in die Wunde gelegten Zweigs dem toten Tier und seiner Seele Achtung und Respekt.
Aus dem Jahreskreis hat sich das Brauchtum entwickelt, viele Tänze, Lieder (nachzulesen in der Edda) und der Glauben an Naturgeister. Ein Zeichen etwa ist Stonehenge. Religionen entwickelten sich weit von Christi Geburt, Sonne und Mond standen im Mittelpunkt. Die heutige Walpurgisnacht ist nun wahrlich kein altes Fest, die Kelten feierten bereits lange zuvor den zweiten Vollmond. Weitere Jahreskreisfeste entstanden (Ostara, Ostern). Und vor allem der Sonnenkalender.
Und die Naturheiler fanden Wege, Krankheiten zu bekämpfen, oder, um genauer zu sein, die Ursachen zu beseitigen. Dies war dann bereits im 7. Jahrhundert vor allem den Kirchen ein Dorn im Auge. Man erinnert sich: Die Hexenverfolgung, weil Menschen, die die Kräfte der Natur nutzten, unheimlich waren für Menschen, die ungerne ihre Macht teilten. Und so wurde verboten, was zu verbieten war – das Anbeten von Bäumen, das Heilen mit Kräutern und das Anwenden heilsamer Naturkräfte.
Mit dem Hexenhammer – einem Werk zur Legitimation der Hexenverfolgung, das der Dominikaner Heinrich Kramer 1486 in Speyer verfasste – war’s dann ganz vorbei mit der angeblichen Hexerei. Dabei kannten die Naturheiler bereits das Penicillin aus Pilzen. Während die Chinesen also die Naturheilkunde vorantrieben, wurde in Europa das Wissen verbrannt.
Gesetz der Harmonie
Die Hexenbewegung in Deutschland wächst. Der Wunsch, in Einklang mit der Natur zu leben, lässt viele Menschen diesen Weg gehen und sich der Bewegung anschließen. Und so dumm ist der Grundsatz nicht: „Tue, was du willst, solange du niemandem schadest“. Eine Art Gesetz der Harmonie. Dazu gehören viele Formen, den Geist mit Körper und Natur in Einklang zu bringen – von Yoga über Meditation und Wellness. Und nicht nur die Heilkräfte stehen im Mittelpunkt – wobei Volkmann klar darauf verweist, dass „Heiler“ nun einmal den Beruf gelernt haben müssen. Von den selbst ernannten Pendlern und Beschwörern hält er ja nun so gar nichts.
Es ist keine Religion, was die Bewegung praktiziert. Die Weltanschauung hat drei Grundzüge – beobachten, erkennen und anwenden. So einfach kann’s sein. Es gibt keinen Missionierungsauftrag, keine Steuern und Abgaben. Man trifft sich zu teils festgelegten Terminen, die aus den keltischen Zeiten noch heute wichtig sind, feiert, versucht, der Natur nahe zu sein und will sich eigentlich nur eben der Natur und den Menschen verbunden fühlen.
Dennoch hat auch die Bewegung Stufen der Mitgliedschaft. Der Lernende, der nicht lehren kann. Der, der das Gelernte anwendet und der, der es Lehrt.
Die Hexen und Hexer sind also alle mitten unter uns. Ohne Harry Potter.
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Artikel in der Online-Ausgabe der Taunus Zeitung – Usinger Neue Presse